Uptown und Downtown

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Heute müssen wir einfach mal ausschlafen, um wieder fit zu werden. Kurz vor 11 zum Frühstück bei John’s Café um die Ecke, wo es Leo Omelette gibt, mit Räucherlachs und Bratkartoffeln, sehr lecker. Leo verputzt die gute Häflte einer großzügigen Portion und legt noch einen Marmeladentoast nach.

Dann werfen wir unseren ursprünglichen Plan, den Süden Manhattans zu erkunden, über den Haufen; wir haben heute Lust auf Kultur und fahren kurzentschlossen uptown ins Metropolitan Museum of Art, das an der östlichen Seite des Central Parks liegt. Die schiere Größe beeindruckt sehr, und die Exponate noch mehr. Hier findet sich ein buntes Sammelsurium aus antiken Gegenständen, wie z. B. ein kompletter ägyptischer Tempel, die komplette Fassade eines historischen Gebäudes New Yorks, dazu Kunstwerke ersten Ranges aus allen Erdteilen und Epochen. Wir konzentrieren uns vor allem auf amerikanische Kunst, denn niederländische Meister können wir in Europa auch sehen; dennoch schauen wir bei herausragenden Werken wie z. B. Dalís schwebendem Christus vorbei. Kunst mit Leo macht richtig Spaß, merken wir erneut. Ihn dagegen freut es, dass es in der Cafeteria ganz frisch zubereitetes Sushi gibt, und dann auch noch für Kinder in einem Yellow Cab aus Pappe verpackt, mit Pfirsich zur Nachspeise, ein Traum!

Am Ende unseres Besuchs macht uns ein Aufseher darauf aufmerksam, dass es eine Dachterrasse gibt, mit einem Wasserbecken, in dem sich kleine Aale und ein schwebender Fels befinden. Das schauen wir natürlich auch noch an und bestaunen den riesigen Central Park; „das ist kein Park, das ist ein Wald“, befindet Leo.
Es ist schon kurz vor fünf, als wir uns auf dem Weg downtown zur Südspitze Manhattans machen, um den neuen One World Trade Center zu besuchen. Auf dem Weg verputzt Leo eben noch zwei Bananen und einen Hot Dog. Wir sehen fassungslos zu.
Wir schauen beim 9/11-Mahnmal vorbei; zwei Brunnen mit schwarzen Wänden, die schier endlos tief erscheinen, nehmen heute den Grundriss der Twin Towers ein. Am Rand der Becken eingraviert die Namen der Opfer, der rieselnde Wasserfall ein beständiger Fluss von Tränen. Kein Pathos, keine Flaggen, kein Geschwafel von „Freedom“, hier wird tatsächlich und ehrlich um die Ermordeten getrauert. Einen Steinwurf entfernt der neue One World Trade Center, der sich mit gut 100 Stockwerken gen Himmel reckt, ein klares Symbol: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Fast möchte man an einen emporgestreckten Mittelfinger denken…
Die neue Besucherplattform One World Observatory (ein elegant gewählter Name, der Unfug mit „Freedom Tower“ ist gottlob mit George W. verschwunden) ist ein Erlebnis: Man fährt erst mal mit der Rolltreppe nach unten, wird mild gefilzt (bei der Intrepid waren sie viel genauer), geht durch eine Passage mit riesigen Video-Installationen, in denen die Arbeiter über den Turm erzählen, und betritt dann eine Höhle aus (Plastik)-Granitfelsen, auf denen der Tower gebaut ist (also auf echtem Granit, hofft man doch). Von dort gelangt man in die Aufzüge, und die sind eine Sensation: Alle Wände sind riesige Monitore, und während man nach oben katapultiert wird (102 Stockwerke in 49 Sekunden!), durchlebt man eine Zeitreise von 1500 bis heute, die Stadt um einen herum entsteht und wächst im Zeitraffer. Am Ende saust man durch das virtuelle Stahlgerüst des One World Trade Center, und dann öffnen sich die Türen. Zweite Sensation: Eine Videoinstallation, etwa zwei Meter vor den Zuschauern, zeigt Straßenszenen aus New York. Plötzlich fahren die Bildschirme nach oben, und vor einem liegt Manhattan in seiner ganzen Pracht – für Anke erfreulicherweise hinter Panzerglas, aber trotzdem atemberaubend. Dann betritt man die eigentliche Aussichtsplattform, die ringsum zugänglich und ebenfalls voll verglast ist. Man darf bleiben, solange man möchte; es gibt auch ein Restaurant dort oben. Der einzige Wermutstropfen für den Fotografen: Es gibt praktisch keine Stelle, wo man keine Spiegelung auf dem Bild hat. Dafür würde sich das Empire State Building, wo man im Freien steht, wohl besser eignen. Vom World Trade Center aus ist der Blick dafür umso besser; von der Freiheitsstatue bis zu den alten Wolkenkratzern in Midtown, z. B. dem Chrysler Building  und dem Empire State sieht man alles, wenn es heute auch leicht diesig ist. Auch das Timing mit dem Sonnenuntergang hat geklappt. Als es dunkel ist, plagt uns (auch Leo, unglaublich!) der Hunger, und wir schauen in Chinatown und Little Italy vorbei. Die Pizzeria „In Bocca al Lupo“, im Maul des Wolfs, auf der legendären Mulberry Street schaut gut aus, und wir bestellen uns zu dritt eine gewaltige 18″-Pizza, die wir zu zwei Dritteln gemeinsam bezwingen. Gut, dass „to go“ in den USA selbst in den feinsten Lokalen Gang und Gäbe ist – hier wird nichts verschwendet, und man muss auch keinen hungrigen Kläffer als Begründung für einen „doggy bag“ mehr bemühen. Man wirft kein Essen weg, und man muss sich nichts mit Gewalt reinzwingen („lieber … als dem Wirt was g’schenkt“), das finde ich in jeder Hinsicht prima.
Heimwärts geht’s mit der Subway; Leo fällt todmüde (und endlich satt) um 11 ins Bett. Und heute wollten wir mal früher Schluss machen… „New York, da schläft halt keiner“, meint Leo. Recht hat er!

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