Der Big Apple treibt mich zwei Stunden vor Frau und Kind aus dem Bett, ich plane unseren bisher noch freien Tag, der unter dem Motto „Mal was anderes“ stehen soll. Trotzdem beginnen wir mit einem Must, nämlich dem Central Park. Baedeker empfiehlt einen Rundgang in etwa der Mitte der gewaltigen Grünfläche; den Park zu Fuß komplett zu begehen ist völlig illusorisch, gerade noch mit einem Sechsjährigen. Also fahren wir mit der Subway zur 72. Straße Westside und wandern durch das überraschend hügelige Terrain. Unterhalb des Central Parks wurde Manhattan quasi flächig eingeebnet, selbst kurze Anstiege überraschen hier. Die Tour beginnt in den „Strawberry Fields“, die Yoko Ono zusammen mit einem geschmackvollen Mosaik („Imagine“) gespendet hat; John Lennon und sie wohnten gleich um die Ecke.
Hinter dem Bethesda Fountain wartet eine Truppe schwarzer Turner („here you see something special: A black guy running very quickly without police following him“) mit einer guten Show auf; die Jungs antworten immer wieder synchron im Chor, wie üblich werden die Leute durch den Kakao gezogen. Höhepunkt ist ein Saltosprung über den Rücken von etwa sechs „Freiwilligen“. Mein Foto gelingt so gut, dass die Truppe es unbedingt haben möchte, ich bekomme ihre Visitenkarte.
Uptown und Downtown
Heute müssen wir einfach mal ausschlafen, um wieder fit zu werden. Kurz vor 11 zum Frühstück bei John’s Café um die Ecke, wo es Leo Omelette gibt, mit Räucherlachs und Bratkartoffeln, sehr lecker. Leo verputzt die gute Häflte einer großzügigen Portion und legt noch einen Marmeladentoast nach.
Quer durch Manhattan
Anke und Leo schlafen noch; prima, so kann ich Blümchen für den Hochzeitstag organisieren und Euroscheine wechseln (250 Euro geben nach Abzug von Gebühren, Steuern und wahrscheinlich Schutzgeld 258 Dollar, seufz – ab jetzt zahle ich, wo es geht, mit Kreditkarte). Dann wird die Zeit fast wieder knapp, deshalb nehmen wir ein Taxi zum Times Square. Taxis sind tatsächlich günstig in New York.
Wir haben schon seit Monaten Tickets für die „Gazillion Bubble Show“ (die ich zu TeJuana schicken ließ, die sich schon sehr darüber gefreut hatte, die Arme). Die Show ist eine Sensation: Eine gute Stunde lang unterhält uns der Meister der Seifenlauge mit den aberwitzigsten Kunststücken. Besonders gut gefällt mir, wie er eine mit Bühnennebel gefüllten Blase mit dem Finger ansticht und so eine Qualle zaubert, die dann an die Decke saust und dabei zusammenschrumpft. Leo ist begeistert, als große Ventilatoren angeworfen und der Zuschauerraum flächig mit Blasen beschickt wird. Das Finale ist der Hammer: Laser strahlen aus dem Boden. Deni Yang schließt seine Hand darum – und hebt sie scheinbar auf! Dann sticht er sie, begleitet von satten Basstönen, in den Boden zurück, zieht sie zu Fächern auf, spielt Harfe darauf, unglaublich.
An der Ostküste
Sind gut gelandet. Den Hoteltransfer hätten wir uns kostenmäßig aber sparen können, das Taxi würde sogar ein klein wenig billiger kommen. Zudem verlangt der Fahrer acht Dollar Maut für den Tunnel zwischen Queens und Manhattan von mir, das ist im Transferpreis von 40 Dollar nicht inbegriffen (stimmt, steht so in den AGB, er hat aber eine Dauerkarte, mit der die Fahrt nur 5,54 kostet – der Drecksack). Keine 30 Sekunden später die nächste Abzocke: Ein Hotelangestellter bietet mir an, die Koffer von der Straße in die Rezeption zu schaffen. Ich gehe davon aus, dass dafür ein Dollar Trinkgeld fällig ist, den ich gerne berappe. Der Bursche hat circa 20 Sekunden für mich gearbeitet und weist mich höflich, aber bestimmt darauf hin, dass der übliche Tarif zwei Dollar sind – pro Koffer. Nota bene: Für einen Weg von circa 25 Metern. Mein Haarschnitt in Piggott hat weniger gekostet! Nachdem ich meinen Zimmerschlüssel bekommen habe, will der Rezeptionist wieder einen Koffer“träger“ holen, ich lehne dankend, aber sehr bestimmt ab, auch wenn wir den Wagen, auf dem sich unser Gepäck nun befindet, nicht benutzen dürfen und den ganzen Mist nun mit der Hand zum Lift schleppen müssen. Wir müssen uns erst wieder daran gewöhnen, kein ausländisches Kuriosum in Begleitung von Einheimischen im Midwest zu sein, sondern ganz normale Touristen, drei unter zigtausenden im Big Apple, und damit Freiwild für solche Zecken.
Doch beim Betreten unseres Zimmers im 37. Stock ist der Ärger gleich wieder verflogen; die beiläufige Bemerkung, wir würden morgen unseren 10. Hochzeitstag feiern hat offenbar Wirkung gezeigt: Unser Zimmer blickt nach Süden, wir sehen den East River, das UN-Gebäude, den neuen Tower One, das Empire State und das Chrysler Building – schöner geht es kaum:
Flug 1 und Zwischenlandung in Chicago
Die in Brasilien hergestellte Embraer 145 ist ein winziger Jet, die Trolleys passen keinesfalls in die Gepäckfächer. Wir behalten einen, denn Leo braucht den Fußraum nicht, und vertrauen die anderen beiden dem freundlichen Baggage Handler an. Während des Flugs sehen wir über St Louis den Missouri River, der hier in den Mississippi mündet. Leider können wir den Gateway Arch im Dunst nicht erkennen, OSMand verrät mir, dass wir mit gut 700 km/h zu weit westlich an der Stadt vorbeifliegen. Auch ein Blick auf das Joliet State Correctional Center (Blues Brothers!) bleibt mir leider verwehrt. Dennoch macht Sightseeing aus der Luft per Landkarte viel Spaß. Als kleiner Bonus weht der Wind auf den See hinaus, sodass der Pilot den Landeanflug mit einer eleganten Schleife über den Lake Michigan fliegen muss. Wir erkennen viele der Sehenswürdigkeiten, die wir uns vor zwei Wochen erlaufen haben.
Auch die Landung ist ein Genuss; auf dem riesigen Fluhafen landen wir parallel mit einer anderen Maschine, auf der Runway zwischen uns startet gerade eine 747. Tas Taxiing zum Gate stellt Leos Blase jedoch auf eine Zerreissprobe.
Leaving on a jetplane
Valerie hat uns gut zum Bill and Hillary Clinton National Airport in Little Rock gebracht und sich tränenreich von uns verabschiedet. Die Dame beim check-in nimmt es sehr genau und wollte uns keinen Koffer mit mehr als 50 Pfund durchgehen lassen, wir mussten also etwas umpacken, aber es hat alles gut geklappt. Jetzt warten wir auf das Boarding.
Hauptstadtluft
In harten Zahlen ausgedrückt hat Clinton die Arbeitslosigkeit ebenso drastisch gesenkt wie die Industrie angekurbelt. Er hat Humor und ist ein Musterbeispiel des amerikanischen Traums, vom Dorfjungen aus dem Hinterland zum wichtigsten Mann der Welt zu werden. Ich glaube, dass sich die Kaffeetassen mit dem Slogan „I miss Bill“ besonders in den ersten Jahren nach seinen beiden Amtszeiten besonders gut verkauft haben.
Schräge Vögel
Wir fahren nach Graceland, Elvis Presleys Heim in Memphis, Tennessee. Die Tour ist über die Maßen gut konzipiert: Jeder bekommt ein Tablet und Kopfhörer, der Audioguide ist mit zusätzlichen Bildern oder Filmen gespickt. Man kann die Führung, die es für Erwachsene und Kinder auf vielen verschiedenen Sprachen gibt, nach eigenem Gusto unterbrechen und ausgestalten. Auch das Timing ist gut: Trotz hoher Besucherzahl ist es kein Gedränge, und man kann in Ruhe fotografieren. Meine Fotoweste bewährt sich, Rucksäcke sind hier untersagt.
Lazy Sunday Afternoon
Hurra, wir dürfen ausschlafen – soweit man das zu dritt in einem „Queen Size“-Bett behaupten kann, aber Leo mag lieber bei uns nächtigen. Im Laufe des Vormittags brechen wir von Clarendon nach Piggott auf, Frankie hat wie versprochen seinen „Cajun Cooker“ angeschmissen. Der Grill funktioniert eher wie ein Ofen: In einer mit Alublechen ausgekleideten Holzkiste liegen dicke Schweinekoteletts auf einem mit Alufolie geschützten Grillrost. Etwa 50 Zentimeter höher liegt eine massive Stahlwanne, in der Grillbriketts vor sich hinglühen. In gut zwei Stunden ist das Grillgut, in das Frankie mit einer medizinischen Spritze seine Geheimzutat injiziert hat, gar. Wir vertreiben uns die Zeit mit Luftgewehrschießen – Valerie ist eine sehr gute und vor allem auf Sicherheit bedachte Lehrerin für Leo, was nicht verwunderlich ist, denn Schießsport ist Teil ihres Berufs bei „4H“ – und Go-Kart-Fahren, wobei Leo nun die Gelegenheit hat, Beifahrerin Valerie mit seinen Künsten zu Tode zu erschrecken. Die Haywoods sind auch da, die Jungs spielen miteinander, die „Alten“ sitzen vor dem Haus, trinken Bierchen und unterhalten sich prächtig. Randy schaut vorbei und beschenkt uns mit Cowboyhüten aus Reisstroh, eine schöne Erinnerung an den letzten Urlaub hier.
Welcome to Delight
Gesucht wird entweder „trocken“, also einfach durch Herumlaufen und genau hinsehen oder Sieben der obersten Erdschicht, oder „nass“, wofür etwas tiefer gegraben und das Erdreich dann in dafür vorgesehenen Wasserbecken gründlich gesiebt wird. In mehreren Stunden finden wir alle möglichen interessanten Steine, leider aber keine Diamanten. Kein Wunder: Fast alle wertvollen Steine sind kleiner als ein Streichholzkopf, dagegen mutet die Suche nach der Nadel im Heuhaufen nach einer Aufwärmübung an. Außerdem werden 600 Diamanten pro Jahr gefunden, also deutlich weniger als zwei pro Tag. Macht aber nichts, wir haben trotzdem Spaß an der Buddelei.
Ein herzhaftes Mittagessen gibt’s im „Rattler’s Den“, dem Klapperschlangennest. Dorthin darf Anke den offenen Solstice mit großem Vergnügen fahren.
Weiter nach Hot Springs, einem ehemals grandiosen Kurort, der auch heute noch sehr hübsch und lebendig ist, aber nicht mehr wie früher die politische, wirtschaftliche, sportliche und auch kriminelle Elite des Landes anzieht. Kaum ein Präsident, Industriekapitän, Baseballprofi oder Mafioso, der sich hier nicht die Ehre gegeben hätte. Anziehungspunkt sind die (Achtung, Riesenüberraschung:) heißen Quellen, die hier mit 62 Grad Celsius aus dem Boden sprudeln. In der Stadt gibt es Trinkbrunnen und Springbrunnen, die mit dem Heilwasser beschickt werden und selbst in der Augusthitze sichtbar vor sich hindampfen. Das Wasser kann man selbst frisch aus der Leitung, also heiß, trinken, es hat einen wunderbar reinen, frischen Geschmack. Besucher aus Nah und Fern füllen sich diese Gabe der Natur kanisterweise zum heimischen Verbrauch ab.
Entlang der Hauptstraße diverse Kurbäder und Hotels oft nach dem Vorbild der europäischen Belle Époque. Eines der Bäder ist heute noch in Betrieb, ein Bad kostet 33 Dollar, mit Massage 74. Die weiteren Gebäude gehören den „State Parks“ und werden von freundlichen Rangern betrieben, die in ihren wildnistauglichen Uniformen (siehe Yogi-Bär) in den edlen Prunkbauten fast schon deplaziert wirken. Leo kauft sich gleich eine Junior-Ranger-Weste mit wohl 47 Taschen im selben Look.
Hot Springs erinnert heute sehr an britische Seebäder: Es gibt Amüsement am laufenden Band; 4D-Kinos, Wachsfigurenkabinette, kostenlose Weinproben, Antiquitätenläden, Sehen und Gesehen werden auf der Hauptstraße und freundliche Spinner, die einen zum rechten, also ihrem eigenen, Glauben bekehren wollen. Es macht einfach Spaß, nur durch das Städtchen zu schlendern. Wie das wohl hier vor 100 Jahren war? Vermutlich eine Kreuzung aus Broadway, Las Vegas und den Hamptons.
Das Abendessen genießen wir im Cracker Barrel Old Country Store, wo es den ganzen Tag Frühstück gibt, was
Down South
Uiuiui, 6 a.m. ist ganz schön früh. Doch wir müssen zeitig aufstehen, um pünktlich in Paragould zu sein; Michael lässt sich seine Zahnspange nachziehen, Leo spielt derweil mit der XBox im Wartezimmer. Dann gibt’s ganz frische Donuts und Kaffee bei Haywoods zuhause, bevor wir gemeinsam mit TeJuana, Michael und Joseph weiter Richtung Süden fahren. Auf dem Programm steht zunächst das staatliche Crowley’s Ridge Nature Center in Jonesboro. Außergewöhnlich ist, dass hier der Tierschutz und die Jagd gleichermaßen positiv behandelt werden. Im Gebäude gibt es zuerst einen 4D-Film über die Entstehung der Crowley’s Ridge, einer Hügelkette, die sich als geologische Ausnahmeerscheinung (Gletscher, Flüsse, Sedimente und Winderosion sei Dank) in Nord-Süd-Richtung durch Arkansas zieht. In Terrarien und Aquarien finden sich diverse Schlangen, Frösche, Alligatoren und andere Reptilien sowie Fische – allesamt heimisch in unserem Gastgeberstaat. Dazu kommen Dutzende ausgestopfter Tiere. Wir lernen dabei, warum der Dollar den Spitznamen „Buck“ trägt, also die Bezeichnung männlicher Hirsche: Früher wurden hier Hirschhäute als Parallelwährung gehandelt.
Draußen führt ein Holzpfad auf Stelzen durch ein idyllisches Sumpfgebiet, und wenn man genau hinschaut, erkennt man auch kleine Schildkröten im Wasser.
Mittagessen nehmen wir bei Sam’s Club ein. Was klingt wie eine verrauchte Kneipe ist tatsächlich ein gigantischer Discountsupermarkt (erinnert an Metro), für den eine Mitgliedschaft notwendig ist, und der sich vor allem durch die Ausgabe von free samples, Gratisproben frisch zubereiteter Lebensmittel auszeichnet. Es gibt aber auch einen Imbiss, und wir genehmigen uns im Vorgriff auf den teutonischen Nachmittag einen Hot Dog mit Sauerkraut hiesigen Anbaus – siehe www.sauerkraut.com.
Hook, Line and Sinker im Wald
Bei Jo Nell ist einiges zu tun, auf ihrem Rechner findet man mehr Viren als im Tropeninstitut. Anke zieht derweil mit TeJuana durch die Flea Markets in Piggott, nachdem sie die gestern erstandene Kleidung gewaschen hat.
Dann gibt’s zum späten Mittagessen Minestrone mit Fleischeinlage, danach fährt uns Jo Nell zur Shopping-Zugabe zu „Goody’s“ (wo sie arbeitet, die Ketten gehören zusammen) im uns schon recht gut bekannten Kennett. Leo darf derweil mit Jo Nells etwa gleichaltrigen Großnichte Belle spielen, die zunächst recht schüchtern ist, doch Leo gelingt es, sie bald aufzutauen.